Stand: 11.04.2014 11:00 Uhr

Kopenhagens ESC-Debüt vor 50 Jahren

Der Konzertsaal im Kopenhagener Tivoli, einem der weltweit bekanntesten Vergnügungsparks. © Tivoli
Sein ESC-Debüt gab Kopenhagen 1964 im Konzertsaal des Vergnügungsparks Tivoli.

Es war der neunte Eurovision Song Contest 1964 in Kopenhagen am 21. März - in der offiziellen Sprachregelung hieß er "Grand Prix Eurovision". Das Wetter war kühl, aber sonnig. Der Veranstaltungsort von damals wird dieses Jahr wieder zu besichtigen sein. Er ist das Herz des dänisch-internationalen Entertainments: der Tivoli-Konzertsaal, die Bühne des schönsten Vergnügungsparks der Welt. Der Tivoli ist eine Art Zauberlichtergarten und liegt zwischen Hauptbahnhof und Rathaus. Er wirkt heutzutage etwas altmodisch, ist aber populär wie eh und je. Neulich wurde dort die dänische Version vom Abba-Musical "Mamma Mia" aufgeführt.

Schon 1964 will Kopenhagen einen modernen Grand Prix

Das dänische Fernsehen wollte 1964 eine moderne Show inszenieren, zumal die Sieger des Vorjahres, Grethe & Jørgen Ingman, mit einer ausgesprochen coolen Geschichte gewonnen hatten. "Dansevise" - in einschlägigen Foren und Lexika viel zu karg als Jazzwalzer beschrieben - war eine ziemlich antichansoneske Angelegenheit, gemessen an der Fülle der französischsprachigen Chansons, die den ESC bis dahin ästhetisch dominierten. Im Arrangement knüpfte das Lied an die in den frühen 60ern populäre Bossa-Nova-Welle aus Brasilien an (Astrud Gilberto, Gilberto Gil und so weiter und so verehrungswürdig). Und so sollte der Eurovision Song Contest, erstmals in Nordeuropa angesiedelt, auch angerichtet werden. Kopenhagen - das war die Stadt des europäischen Jazz: Hier passte der Grand Prix offenbar gut hin.

Geschichte
Gigliola Cinquetti beim Grand Prix d'Eurovision 1964

1964: Grand Prix Eurovision in Kopenhagen

"Nieder mit Franco, nieder mit Salazar!" Vom Zwischenrufer, der 1964 im Kopenhagener Tivoli auf die Bühne stürmte, bekam das Fernsehpublikum nichts mit. mehr

Italien gewinnt

Erstmals war Portugal dabei, dafür fehlte ausgerechnet der Nachbar Schweden eines Streiks des Künstlerverbandes wegen. Bemerkenswert an diesem Grand Prix Eurovision war nicht allein, dass eine junge Italienerin namens Gigliola Cinquetti mit dem heutigen Klassiker "Non ho l’età per amarti" gewann, mit großem Abstand vor dem Briten Matt Monro und seinem Lied "I Love The Little Things" und dem für Monaco startenden Romuald mit "Où sont-elles passées?“. Interessant war auch, dass mit Udo Jürgens ein Österreicher begann, den ESC zu erobern. Seit zwei Jahren hatte der begnadete Pianist ein neues Management: Hans R. Beierlein, und insofern einen Plan. Mit "Warum nur, warum?" schnulzte er sich auf den sechsten Platz - aus Deutschland bekam er keinen einzigen Punkt. Er hätte sich auch für Deutschland bewerben können. Aber um es mit Beierlein zu sagen: Der deutsche Markt war ein Inferno an Schlagern, die im Ausland niemand hören wollte. Um Erfolg zu haben, mussten wir nach Österreich gehen.

Politische Aktivisten stürmen die Bühne

Dieser ESC war außerdem der erste, auf dem es zu dem kam, was man einen politischen Impuls nennen könnte. Knapp vor dem Ende der Liedervorstellungen, zwischen dem jugoslawischen Beitrag und dem schweizerischen, lief ein Mann auf die Bühne und rief "Nieder mit Franco! Nieder mit Salazar!". Der eine war der rechte Diktator von Spanien, der andere sein nicht minder diktatorisch regierender Kollege aus Portugal. Der Aktivist wurde umgehend von der Bühne geharkt. Diese überlieferte Geschichte belegt, dass es keineswegs so war, dass das Politische nicht wahrgenommen wurde.

Nora Nova vertrat Deutschland 1964 beim Grand Prix. © Polfoto
Nora Nova startet 1964 für Deutschland mit "Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne". Ein vollkommen unpolitischer Song.

Und die Präsenz von Spanien und Portugal beim ESC kam ja auch einer Prestigeaufwertung beider Länder und ihrer Regime gleich. Neben dem des ersten ESC 1956 ist dieser ESC im Übrigen der einzige, von dem es allenfalls Schnipsel gibt - eine vollständige Videokopie aber nicht. Selbst nach umfänglichen Recherchen in allen möglichen Ländern konnte kein Mitschnitt gefunden werden. Historisches Bewusstsein, à la "Das muss doch archiviert werden, das gehört zur europäischen Geschichte", existierte im immer noch jungen Medium Fernsehen kaum. Der politische Zwischenfall soll hingegen der Grund sein, weshalb die European Broadcasting Union und Danmarks Radio den doch noch existierenden Mitschnitt unter Verschluss halten, so heißt es in manchen Quellen. Das halte ich allerdings für eine Spekulation. Welchen Grund sollten die EBU und DR haben, diese Episode zu einer Nichtigkeit zu machen? Da wird ja selbst mit politischen Akten - etwa in Großbritannien - nach 20 Jahren Sperrfrist freizüziger umgegangen.

Die Pop-Revolution findet woanders statt

Wie dem auch sei: Die deutsche Vertreterin Nora Nova erhielt für ihr "Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne" nicht einen einzigen Punkt und wurde Allerletzte. Es war ein weiteres Beispiel für das, was Cornelia Froboess (1962 mit "Zwei kleine Italiener" beim ESC am Start) über deutsche Eurovisionslieder sagte: Das war neckisch und keck, aber nicht von Niveau. Das atmete keinen Anspruch auf internationale Anerkennung. Noch war der ESC ein Festival der Popularisierung von Unterhaltungsmusik im Fernsehen. Aber schon damals ging der ESC ästhetisch am Mainstream des jungen Pop weitgehend vorbei. Cinquetti, Jürgens, Monro - sie hatten auch internationalen, vor allem europäischen Erfolg. Die anderen nicht.

The Beatles: Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison (v. l. n. r.) © Picture-Alliance / empics
Die "Fab Four" hätten dem ESC Zeitgeist einhauchen können. Doch damals durften keine Gruppen starten.

Vom politischen Aufbruch in der westlichen Welt, von der Popwelt insgesamt, kriegte man beim ESC wenig mit - und womöglich sollte das auch so sein. Der Friedensnobelpreis des Jahres ging an Martin Luther King; die Rolling Stones veröffentlichten ihre erste Platte; die Beatles waren die aufsteigenden Götter am Pophimmel (Gruppen warem beim ESC noch verboten); in der Bundesrepublik wird die Stiftung Warentest gegründet; Erdnussflips, Etagenbetten und Partykeller kamen in Mode und Siw Malmkvist gewann die Deutschen Schlagerfestspiele mit dem schwungvollen "Liebeskummer lohnt sich nicht". Der ESC blieb, bis auf Ausnahmen, die Welt der Abendkleider und Herrenanzüge.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 21.03.1964 | 21:00 Uhr