Stand: 15.05.2016 03:20 Uhr

Kommentar: Politische Botschaft ergreift Europa

Jamala aus der Ukraine reißt auf der Finalbühne in Stockholm die Arme hoch und hält den ESC-Pokal in die Höhe © dpa - Bildfunk Foto: Maja Suslin
Jamala holt mit dem dramatischen "1944" die ESC-Trophäe in Stockholm.

Sie war schon im Semifinale auf der Höhe ihrer Kunst, sie steigerte sich im Juryfinale und provozierte das Publikum in der Globe Arena zu stärkstem Beifall. Jamala legte eine beeindruckende Performance ihres Titels "1944" hin. Sie war jedoch nicht die haushohe Favoritin. Sie, die Frau mit familiären Wurzeln auf der Krim, siegte erst auf der Schlussgeraden des Abends, als die Televotingresultate verlesen wurden. Fast bis zum Ende lag die Jurysiegerin Dami Im in Führung, ehe sie von Jamala überholt wurde. Dritter wurde der Televotingsieger und Favorit Sergey Lazarev aus Russland. Es war ein politisch aufgeladener ESC, wie so oft schon in vielen Jahren. Auffällig war etwa, dass Russland keinen Jurypunkt aus der Ukraine bekam und diese auch keinen Zähler nach Moskau schickte.

Publikum liebte Bulgarien und Polen

Der Favorit in den Wettbüros, Sergey Lazarev, der eine mindestens ebenso aufwändige Show hinlegte wie voriges Jahr Måns Zelmerlöw, litt unter einer Stimmung unter den Juroren in 41 Ländern, die ihm oft nicht gewogen war. Russlands Entertainer hatte offenbar nichts gegen eine Atmosphäre auszurichten, die Russland als ESC-Sieger nicht wollte.

Womöglich lag es nicht allein an politischen Atmosphären, die aus einer grandiosen Performance einer Ukrainerin, die in ihrem Lied eine familiäre Leidensgeschichte erzählt, eine Siegesvorstellung machte. Denn: "1944" war auch eine stilistische Alternative zu den meisten Liedern des Abends. Jamala spielte keine gute Laune, sie war nicht eine, die prima konstruierten Pop ablieferte. Vielmehr hatte sie eine Botschaft. Ihr war es ernst. Das wurde ihr angerechnet, das ging offenbar Juroren in 41 Ländern nah: Sie erhielt so häufig die volle Punktzahl der Juroren wie keine andere, nämlich elf Mal.

Wie in vielen Jahren belohnt der ESC nicht Kopien von Vorjahresauftritten - also wurde auch Sergej Lazarev abgestraft. Man wollte einen anderen Stil belohnen. Jamala wird in der Ukraine zu einer Ikone, wie sie Ruslana ist. Nächstes Jahr in Kiew, das ist sicher.

Es muss für Jamie-Lee bitter gewesen sein. Leider erhielt sie nur einen Punkt der Jurys - und diesen aus Georgien. Außerdem von den Televotern noch zehn Punkte. Allerletzte ist sie geworden, leider. Sie hat ihre Sache gut gemacht, zurecht erhielt sie schon während der Wertungszeremonie viel Zuspruch aus den sozialen Netzwerken.

Televoting - elektrisierend

Das Televoting am Ende der Show zeigte, wie unterschiedlich die Sympathien des Publikums im Vergleich mit den Juroren aus dem Musikbusiness ausfallen. Österreich erhielt 120 Punkte vom Publikum, nur 31 von den Experten. Ihr Lied wird ein Hit! Polens Michał Szpak bekam von den Jurys magere sieben Zähler, vom eurovisionären Volk in 41 Ländern 222 Punkte - irre, diese Differenz. Das neue Wertungssystem machte auf Anhieb aus einem ESC-Abend eine gewiss auch politisch interessante Angelegenheit. Vor allem aber war es spannend bis zum Schluss.

So haben Jurys und Zuschauer gewertet
GesamtergebnisJurypunkteZuschauerpunkte
1. Ukraine534211323
2. Australien511320191
3. Russland491130361
4. Bulgarien307127180
5. Schweden261122139
6. Frankreich257148109
7. Armenien249115134
8. Polen2297222
9. Litauen20010496
10. Belgien18113051
11. Niederlande15311439
12. Malta15313716
13. Österreich15131120
14. Israel13512411
15. Lettland1326963
16. Italien1249034
17. Aserbaidschan1174473
18. Serbien1153580
19. Ungarn1085256
20. Georgien1048024
21. Zypern964353
22. Spanien776710
23. Kroatien734033
24. Großbritannien62548
25. Tschechische Republik41410
26. Deutschland11110
Weitere Informationen
Jamie-Lee auf der ESC Bühne. © NDR Foto: Rolf Klatt

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 14.05.2016 | 21:00 Uhr

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