Stand: 10.07.2020 14:25 Uhr

Jurys entscheiden über deutschen ESC-Act 2021

Ben Dolic © NDR Foto: Uwe Ernst
Keine interne Wahl: Ben Dolic muss sich 2021 erneut dem Auswahlverfahren stellen.

Der Eurovision Song Contest 2020 in Rotterdam wurde wegen der Corona-Krise abgesagt. Knapp die Hälfte der Teilnehmerländer hat bislang angekündigt, dass die Kandidaten des Jahres 2020 auch beim ESC 2021 wieder eine Chance bekommen sollen. Deutschland geht einen anderen Weg. Ben Dolic, der für 2020 ausgewählte Act, wird nicht intern nominiert. Christian Blenker, ARD-Teamchef für den ESC, und Head of Delegation Alexandra Wolfslast erklären, wie der ESC-Act für 2021 gefunden werden soll und was sich im Fernsehprogramm rund um den ESC ändert.

Viele Länder haben den für 2020 ausgewählten Act für 2021 bestätigt. Warum ist Ben Dolic nicht für 2021 gesetzt?

Alexandra Wolfslast: Ben Dolic hat sich im Auswahlprozess im vergangenen Jahr zurecht mit dem Song "Violent Thing" bei den zwei unabhängigen Jurys durchgesetzt. Boris Milanov hat eine großartige, energiegeladene Up-Tempo-Nummer geschrieben, die Ben mit seiner einzigartigen Stimme zum Strahlen gebracht hat. Ben, Boris, das gesamte ESC-Team - wir haben viel positives Feedback bekommen. Viele Radiosender haben "Violent Thing" gespielt, das Video wurde bei YouTube auf den beiden offiziellen Kanälen 3,5 Millionen Mal aufgerufen. Das hat uns mega gefreut. Und eine Top-10-Platzierung wäre, sagen wir mal, nicht unmöglich gewesen.

Deutschlands ESC-Teamchef Christian Blenker und die Head of Delegation Alexandra Wolfslast.  Foto: Hendrik Lüders
Christian Blenker und Alexandra Wolfslast sind in Deutschland für den ESC verantwortlich.

Christian Blenker: Dann kam die Absage. Das war ein echter Nackenschlag. Für alle. Und die EBU hat für den kommenden ESC die Regeln bestätigt: Auch im nächsten Jahr dürfen nur neue, noch nicht veröffentlichte Songs antreten. "Violent Thing" war also raus und wir müssen wieder von vorne anfangen. Wir haben das intern, mit Ben und Boris besprochen. Beide wollen es zum Glück noch einmal wissen und für 2021 einen neuen Song einreichen. Ben ist aber nicht gesetzt, sondern im Wettbewerb mit anderen. Wir wollen auch neuen Künstlerinnen und Künstlern eine Chance geben, für Deutschland beim ESC 2021 anzutreten.

Wie sehr war Ben Dolic in die Entscheidung eingebunden?

Blenker: Wir mussten zunächst einmal die Ausgangslage klären. Da waren viele Gespräche nötig, mit der EBU, der Reference Group, dem Host Broadcaster und dann natürlich intern im Team. Die Entscheidung der EBU, die diesjährigen Songs für das nächste Jahr einfach auszuschließen, hat Thomas Schreiber auch kritisiert und sich für andere Lösungen im Sinne der Songwriter und Künstlerinnen und Künstler eingesetzt.

Wolfslast: Selbstverständlich habe ich Ben immer transparent auf dem Stand der Dinge gehalten und mit ihm über die neue Lage gesprochen. Natürlich war er enttäuscht. Aber wir freuen uns alle sehr, dass er es nun mit einem neuen Song noch einmal wissen will.

Wird es im nächsten Jahr wieder einen Vorentscheid oder eine direkte Wahl von Künstler und/oder Song geben?

Wolfslast: Wir bleiben beim Verfahren. Zwei Experten-Jurys wählen aus.

Das bedeutet, es gibt eine Experten- und eine Eurovisions-Jury bestehend aus ESC-Kennern. Kann man sich für die Eurovisions-Jury bewerben?

Blenker: In beiden Jurys sitzen Menschen mit einem nachgewiesenen ESC-Instinkt: Musik-Profis und internationale Mitglieder aus den Länder-Jurys des ESC. Und die Wahl von Ben Dolic und "Violent Thing" zeigt ja, dass sie ihre Sache ziemlich gut machen. Deshalb vertrauen wir ihnen auch die Auswahl für den deutschen Act für den ESC 2021 an.

Können sich Künstler und Songschreiber offen bewerben?

Der bulgarisch-österreichische Komponist Borislav Milanov.  Foto: Claudia Timmann
Komponist Borislav Milanov will sich 2021 erneut bewerben.

Blenker: Im vergangenen Jahr haben uns direkte Bewerbungen erreicht und wir haben mit einem professionellem Scouting gezielt nach Nachwuchstalenten gesucht. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Diese Suche soll auch in diesem Jahr wieder der Dienstleister "Digame" für uns betreuen, der auch Bewerbungen im Verfahren berücksichtigt. Wir waren von der Professionalität und der Vielfalt im vergangenen Jahr wirklich beeindruckt. Auch der Schutz der Künstlerinnen und Künstler durch ein internes Verfahren zahlt sich aus. Jetzt können wir diejenigen ermuntern, die es im vergangenen Jahr nicht geschafft haben, aber sehr gute Bewertungen eingefahren haben, es erneut zu versuchen.

Warum hat sich der NDR für diese Form der Künstler- und Songwahl entschieden?

Wolfslast: Das Ergebnis hat uns überzeugt. Damit meinen wir nicht nur Ben Dolic mit "Violent Thing", sondern eine erfreuliche Anzahl weiterer hochkarätiger und doch sehr unterschiedlicher Beiträge. Zudem ist das Verfahren effizient und nachhaltig. Wir wollen keine Verlierer schaffen, sondern neue Talente finden und fördern. Deswegen ermöglichen wir unseren Künstlerinnen und Künstlern auch eine enge Zusammenarbeit mit professionellen, sehr erfolgreichen Songwriter-Teams, die außerhalb des ESC für Stars wie zum Beispiel Robin Schulz, Dua Lipa oder Taylor Swift schreiben. Das Feedback, das wir von unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vorauswahl im vergangenen Jahr bekommen haben, war durchweg positiv.

Wie sieht nun der Zeitplan aus, bis ein Act für 2021 gefunden ist?

Wolfslast: Es hat uns geholfen, mit ausreichend Zeit an einer Inszenierung zu arbeiten. Ganz in Ruhe. Nur wir als Team. Deshalb planen wir wieder, bis zum Ende des Jahres Song und Künstler zu haben und dann gemeinsam die nächsten Schritte anzugehen.

Wird es wieder so spannend gemacht wie für den ESC 2020, als Deutschland erst sehr spät Künstler und Song vorgestellt hat?

Blenker: Das war doch nicht spät. Wir hätten es pünktlich nach Rotterdam geschafft. Aber ganz im Ernst, uns freut die Neugierde. Das zeigt das große Interesse am ESC. Wir werden auch diesmal keine halben Sachen präsentieren und erst dann veröffentlichen, wenn wir unsere Aufgaben erledigt haben.

Wie sehr treffen die Sparmaßnahmen des NDR den ESC?

Barbara Schöneberger auf der Bühne auf der Reeperbahn in Hamburg © NDR Foto: Uwe Ernst
Der Countdown von der Hamburger Reeperbahn mit Barbara Schöneberger findet, Stand jetzt, nicht statt.

Blenker: Die Sparmaßnahmen treffen den ganzen NDR. Wir müssen in den Jahren 2021 bis 2024 gemeinsam rund 300 Millionen Euro einsparen. Das geht nicht ohne Kürzungen im Programm. Auch beim ESC haben wir das Budget gestrafft und verzichten im kommenden Jahr nach heutigem Stand auf die Livesendung von der Reeperbahn vor dem ESC-Finale. Das spart eine relevante sechsstellige Summe.

Gibt es schon Ergebnisse der Gespräche zwischen ARD und DFB wegen der Terminkollision zwischen dem ESC-Finale und dem DFB-Pokalfinale der Männer am 22. Mai 2021?

Wolfslast: Wie wir wissen, laufen die Gespräche noch. (Anm. d. Red.: Mittlerweile steht fest, das DFB-Pokalfinale findet am 13. Mai 2021 statt und überschneidet sich nicht mehr mit dem ESC.)

Wie steht der NDR zu der Regeländerung der EBU, dass Background-Gesang nicht mehr zwingend live sein muss und was bedeutet dies für den Act 2021?

Blenker: Noch wissen wir ja gar nicht, ob der deutsche Act mit Background-Gesang auftreten würde. Prinzipiell macht ein Background-Gesang vom Tape einen Auftritt etwas "sicherer" und reduziert den Aufwand. Als Musiker finde ich diese Entscheidung aber auch schade. Live-Gesang hat immer mehr Energie - ob bei den Lead Vocals oder im Backing.

Weitere Informationen
Blick vom Greenroom auf die Bühne in Rotterdam. © EBU Foto: Andres Putting

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 25.07.2020 | 19:05 Uhr

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