Stand: 13.05.2013 23:02 Uhr

Jugo-postsowjetische Blockwertungen?

Nach der ersten Generalprobe lässt sich dies zum ersten Halbfinale bemerken: Trommeln sind in Mode. Nicht nur in Osteuropa, auch die Dänin Emmelie de Forest lässt dieses Instrument als wuchtige Soundmaschinen laufen. Unabhängig von den Liedern ist die Show tatsächlich sehr auf Schmetterlingshaftes abgestellt – mit einer Moderatorin, die ein bisschen an Anke Engelke in Düsseldorf 2011 erinnert, an ihren Humor, genauer gesagt.

Auch das Filmchen nach den Schnelldurchläufen und vor der Verkündung der Länder, die es ins Finale geschafft haben, also kurz vor dem Ende der Show, ist ziemlich lustig: Es zeigt, wie es  Sarah Dawn Finer, Sängerin und Comedian aus Schweden, ins nördliche Schweden verschlagen hat. So soll dem Publikum in gut drei dutzend europäischen Ländern illustriert werden, dass man sich in Schweden auch durch die selbstironische Brille betrachten kann. Denn man sieht nur sehr, sehr viel Schnee, und das mitten im Frühling. Finer, die schon beim “Melodifestivalen” im März in Schweden den ESC in Malmö veräppelte, schafft diese Selbstironie so: Sie, die selbst als Kind britisch-amerikanischer Eltern in Stockholm geboren wurde, tut so, als fände sie die schwedischen Ortsnamen komisch – und kann sie dann nicht mal aussprechen (“Jukkasjärvi” klingt bei ihr wie “Dschukkärwi”). Das ist, man muss es vielleicht selbst gesehen haben heute Abend, von ähnlichem Feinsinn wie der Humor der Monty Pythons.

Klapa S Mora bei ihrer ersten Kostümprobe in Malmö © NDR Foto: Rolf Klatt
Die Herren von Klapa S Mora - adrett gekleidet bei ihrer Probe in Malmö.

Viele Balladen sind im Spiel; es hört sich an, als ob die danceverliebten Mittnullerjahre wie in Athen, Helsinki oder Istanbul modisch vergilbt sind. Was zählt, ist die stehende Position am Mikro: zur balladesken Nummer.

Und nun zu den Liedern, hier meine Prognosen. Österreichs Natália Kelly singt stark; der Vortrag der Estin Birgit Õigemeel plätschert so dahin; Sloweniens Dame Hannah kreischt stark; Kroatiens klassisch inspirierter Männerchor Klapa S Mora ist für das Publikum wohl angenehm – hauptsächlich für die Älteren, die finden, dass Männer ordentlich aussehen sollen. Dänemarks Barfußdame ist in der Konkurrenz des ersten Semifinals eine sichere Nummer – sie wirkt ausgesprochen selbstbewusst, voller Vertrauen in den Funkenregen, der im orange-gelben Bühnenlicht auf sie herabregnet. Russlands Dina Garipova hat eine der besten Stimmen des diesjährigen ESC überhaupt – insgesamt ein wenig nixig, was ihr Lied anbetrifft – man erinnert sich sofort, dass sie prima Noten in Töne verwandeln kann … aber sonst? Die Ukrainerin Zlata Ognevich mit ihrem 2,60 Meter hohen Riesen, der sie sacht auf den Felsen der Bühne stellt, kriegte Probenapplaus, zurecht.

Die Niederländerin Anouk gibt die bewegendste Show des Abends. Ein beinah perfektes Lied einer Interpretin, die aus Verletzungsgründen (am Oberschenkel) am Montag nicht zum roten Teppich der Eröffnungsfeier kommen konnte oder wollte. Who See aus Montenegro kommen in den albernsten Kostümen daher. Hat man in Podgorica noch nicht begriffen, dass Astronauten-Outfits immer wie ein Zuviel wirken? Der Litauer Andrius Pojavis, soweit man das in der Halle oder auf dem Riesenscreen im Pressebereich sehen konnte, hat entweder eine schwere Erkältung oder sonstige Probleme: Sein Blick glasig, sein Gesang aber, wie Wham dereinst, makellos.

Alena Lanskaja für Weißrussland und Aliona Moon für Moldau – beide Damen pompös, großstimmig, wobei die Frau aus Minsk zum Auftakt aus einer Art Weltkugel schlüpft. Es erschließt sich einem nicht, warum sie das tut. Irlands Hoffnung Ryan Dolan sieht sehr geleckt aus, seine Hintergrundakteure kommen mit entblößten Oberkörpern. Glauben die Iren damit Juries und Publikum bestechen zu können? Zyperns Despina Olympiou ist eine Sängerin, die wie die europäische Krise singt: endlos und zäh. Belgiens Roberto Bellarosa: ohne Worte – einfach öde. Serbien, das ist ein Trio der hysterischen Gutgelauntheit. Nun gut, auch Moje 3 verdienen Respekt, allein schon ihrer flamboyanten Kostüme wegen.

Und wer kommt weiter? Ginge es nach mir, würde ich sagen: hoffentlich die Niederlande, Russland und die Zypriotin. Im wirklichen ESC-Leben, nach Abgabe der Jurywertungen und der Televotings, schätze ich, dass folgende zehn Acts es ins Finale schaffen (Reihenfolge zufällig): Niederlande, Österreich, Serbien, Russland, Ukraine, Weißrussland, Dänemark, Moldau, Irland und Litauen. Auf der Strecke werden bleiben: Montenegro, Kroatien, Belgien, Zypern, Slowenien und Estland.

Der postsowjetische Block könnte sich natürlich untereinander kannibalisieren, aber ich glaube daran nicht. Gemessen am mainstreamigen Publikumsgeschmack sind die Lieder aus diesen Ländern einfach auch gut, besser: gut gemacht. Mitwerten darf das deutsche Publikum am Dienstagabend noch nicht – das geht erst am Donnerstag beim zweiten Semifinale.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2013 | 21:00 Uhr