ESC-Finale: Herz siegt vor Kommerz
Kein Goldregen, kein Glitzerhemd, keine Tanzschritte: Salvador Sobral verzichtet bei seinem Auftritt im Finale des Eurovision Song Contest in Kiew auf allen Schnickschnack. Der fast schüchtern wirkende Portugiese steht einfach auf der Bühne und schließt die Augen, als würde er sich an einen anderen Ort träumen. Er singt seine Jazz-Ballade "Amar pelos dois" so zart und gefühlvoll, dass selbst der unromantischste Zuschauer sein Feuerzeug schwenken möchte. Sobral überzeugt damit Jurys und Publikum, setzt sich gegen viel Lautes und Buntes im Wettbewerb durch und gewinnt den ESC 2017. Es ist nicht nur Portugals erster Sieg in der Song-Contest-Geschichte des Landes, sondern auch ein Sieg über den Mainstream.
Sieger Salvador Sobral singt "Amar pelos dois"
Salvador Sobral ist der strahlende Sieger des Eurovision Song Contest 2017. Mit dem melancholischen Jazz-Walzer "Amar pelos dois" gewinnt er den Titel für Portugal.
Der diesjährige Eurovision Song Contest ist eine Show, die für die Zuschauer und auch die Kandidaten einige Überraschungen bereithält. Denn als Favorit gilt im Vorfeld des Wettbewerbs der extrovertierte Italiener Francesco Gabbani, der fast schon das Gegenteil des Portugiesen verkörpert. In seinem Song "Occidentali's Karma" besingt er mit einem Augenzwinkern den westlichen Lebensstil, dazu tanzt er mit einem Affen - und das Publikum tanzt mit. Das macht zwar gute Laune, für einen der ersten Plätze reicht der Affentanz allerdings nicht. Am Ende kommt der Italo-Popsong trotz der anderslautenden Vorhersagen zwar "nur" auf Platz sechs, aber immerhin in die Top Ten.
Deutschland bleibt im Punktekeller

Levinas Song "Perfect Life" kommt nicht gut an. Platz 25 für Deutschland.
Weit von den ersten zehn Plätzen entfernt ist am Ende des Abends die deutsche ESC-Hoffnung Levina. Zwar fährt die Sängerin nicht - wie die Kandidaten der vergangenen beiden Jahre - als Letzte nach Hause, sie verbessert das deutsche Ergebnis aber nur minimal: Mit sechs Punkten wird sie 25. und damit Vorletzte - hinter dem Gastgeberland Ukraine und vor der flachen Surferboy-Nummer aus Spanien. Dabei ist gesanglich am Auftritt nichts auszusetzen. Souverän trägt Levina ihren Popsong "Perfect Life" vor. Die 26-Jährige singt davon, keine Angst davor zu haben, Fehler zu machen - hoffentlich denkt sie das nach diesem enttäuschenden Ergebnis immer noch.
Video
Ein Junior auf dem Treppchen
Für den Bulgaren Kristian Kostov erweist sich die ESC-Teilnahme definitiv nicht als Fehler: Nach einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Portugiesen wird er Zweiter. Bei seinem Auftritt scheinen alle 1.800 auf der Bühne zur Verfügung stehenden Scheinwerfer zum Einsatz zu kommen. Zu flackernden Strahlern trägt der optisch an den jungen Bill Kaulitz von Tokio Hotel erinnernde Sänger sein "Beautiful Mess" vor - und beweist, dass Balladen kein Pathos benötigen. Stimmlich gehört er zu den Stärksten des Abends, dabei ist der 17-Jährige der jüngste Teilnehmer des Wettbewerbs. Eine lustige Hochzeitsgesellschaft aus Moldau belegt dahinter den dritten Platz. Dabei wäre das SunStroke Project nach Jurypunkten nicht mal unter den ersten 15 gelandet - mithilfe der Zuschauerstimmen schafft die Gruppe es aufs Treppchen. Mit ihrem fröhlichen "Hey Mamma!" besingen die Kandidaten, die bereits 2010 in Oslo dabei waren, die Mutter ihrer Angebeteten - das könnte ein Disco-Hit werden.
-
Die Final-Show des ESC 2017 in Kiew eröffnet der israelische Sänger Imri Ziv. Den könnte man schon als eine Augenweide bezeichnen - eine Ohrenweide ist er nicht durchgehend, er verhaut gleich zu Beginn so einige Töne. Alles in allem ein schneller und poppiger Auftritt, auf den der 25-Jährige aber auch lange hingearbeitet hat: In den vergangenen beiden Jahren war er als Background-Sänger beim ESC.
-
Kasia Moś legt einen strahlenden Auftritt hin - und das auf keinen Fall nur optisch wegen ihres leuchtenden, wenn auch ziemlich knapp geratenen Outfits. Die Polin tritt nicht nur sehr energisch auf, sie ist vor allem auch wahnsinnig stimmgewaltig - fast könnte sie Shakiras Schwester sein. Gemeinsam mit ihrem Teufelsgeiger begeistert sie so auch das Publikum in der Halle in Kiew.
-
Und gleich noch ein Traum in Weiß: Naviband aus Weißrussland. Die beiden stehen auf einem kleinen Boot, die Frisur von Sängerin Ksienija Žuk erinnert ein wenig an Prinzessin Leia aus "Star Wars" - alles in allem nicht gerade gewöhnlich. Und das passt auch zu ihrem folkloristischen Song "Story Of My Life", der trotz der Landessprache eine sehr eingängige Hook hat - und den man trotzdem schnell mitgrölen kann.
-
Der Team-Spirit scheint bei Ksienija und Arciom Lukjanienk jedenfalls zu stimmen - nach vollbrachter Arbeit wird da auch schon mal heiß und innig geknutscht.
-
Der Mann im Mond: Nathan Trent aus Österreich - ebenfalls unübersehbar in Weiß. Der Mann turnt einigermaßen ausgelassen über die Bühne. Ist aber auch ein fröhlicher Song, sein "Running On Air". Und solange man nicht "Out Of Air" rennt, kann man die Größe der Bühne ja auch mal nutzen.
-
Artsvik aus Armenien - die Frau mit den sechs Armen? Natürlich nicht, immerhin ist sie nicht allein auf der Bühne, sondern mit zwei Tänzerinnen. Der Auftritt ist ein Feuerwerk der guten Ethno-Elektro-Laune - und der Tanz passt perfekt zu den ungewöhnlichen Klängen.
-
Frauenpower auch aus den Niederlanden: Die drei Schwestern von O'G3NE sind an der Reihe. Sie legen nicht nur wegen ihrer Glitzer-Outfits einen glänzenden Auftritt hin. Sie singen grandios - und haben am Ende, auch wenn es in ihrem Song "Cry No More" heißt, kleine Tränchen in den Augenwinkeln.
-
SunStroke Project aus Moldau mit "Hey, Mamma" - sehr passend, so zum anstehenden Muttertag. Auch sonst passt hier aber alles, die Saxofon-Klänge, ...
-
... die Brautkleider zu den Mikros in den Brautsträußen und der Party-Stimmung. Die Brautkleider schälen sich übrigens aus zunächst schwarzen Röcken hervor. Na endlich, einmal Trickkleid sollte schon sein beim ESC. Der Sänger ist im Übrigen nicht, wie man zunächst denken könnte, der Moderator und Entertainer Ross Antony.
-
Oho, wenn das mal nicht eine traditionelle Garderobe ist, die Joci Pápai und seine Tänzerin da auf der Bühne präsentieren. Und das passt hervorragend zu den klassischen Gipsy-Klängen, die mit Rap und Pop gemixt werden. Und so wird es ein durch und durch stimmiger Auftritt, der auch durch den Gesang des Ungarn überzeugt. Dazu ein klein wenig Drama auf der Bühne, Sänger und Tänzerin bändeln an, stoßen sich weg - und bekommen sich am Ende natürlich doch.
-
Auge in Auge mit dem Gorilla: der Italiener Francesco Gabbani. Der muss aufpassen, dass ihm der Affe nicht die Show stiehlt - tanzen kann der nämlich fast besser. Nun gut, aber singen kann er ganz hervorragend, der Francesco. Dazu der adrette Anzug mit Regenbogen-Streifen an den Ärmeln und Sternchen an den Hosenbeinen - da hagelt es am Ende Applaus.
-
Etwas unfair an dieser Stelle vielleicht: Francescos Tänzer haben nur bunte Schlabberpullis abbekommen.
-
Woohoo, die hat Power, diese in Australien aufgewachsene Dänin Anja Nissen. Sie füllt die Bühne mit all ihrer Energie und vor allem auch ihrer gewaltigen Stimme.
-
So leise und so zart: der Auftritt des schüchternen Portugiesen Salvador Sobral. Unaufgeregter geht es wohl kaum - vor allem nicht bei einer Veranstaltung wie dem ESC. Sensationell ist: Er gewinnt am Ende trotzdem. Oder vielleicht auch deswegen.
-
Der Jazz-Musiker kann jedenfalls wahrlich singen und vor allen Dingen das Publikum berühren. Und so steht der tosende Applaus am Ende des Songs "Amor pelos dois" im starken Kontrast zu seinem ruhigen, aber eindrucksvollen Auftritt.
-
Na, wer wird denn da die Tafel vollschmieren? Dihaj aus Aserbaidschan ist es, mit ihrer stark gegelten Frisur und dem auffälligen Lippenstift. Den beigefarbenen Mantel, den sie zu Beginn immer wieder weit öffnet, als wäre sie exhibitionistisch veranlagt, reißt sie sich am Ende energisch vom Leib. Apropos Energie - die liegt bei dieser Frau im Übrigen vor allem in der gewaltigen Stimme.
-
Und was sitzt da neben ihr, hoch oben auf einer Leiter? Es ist ein Mann mit einer Pferdemaske. Das lassen wir einfach mal so stehen und suchen gar nicht erst nach einer tiefschürfenden Erklärung.
-
Er wollte einst Opern-Tenor werden - und das hört man ihm und seinem Auftritt auch ziemlich deutlich an: Der Kroate Jacques Houdek ist mehr als stimmgewaltig. Interessanterweise kann er die Jurys trotzdem nicht so recht überzeugen - er holt am Ende erst durch die Stimmen der internationalen Zuschauer auf.
-
Was für eine Entwicklung er in den vergangenen Tagen gemacht hat: Isaiah aus Australien. Beim Halbfinale wirkte er noch fast ein bisschen schüchtern, nun steht der 17-Jährige selbstbewusst wie ein Fels in der Brandung auf der Bühne. Und dieses Lächeln! Am Ende kommt der Australier immerhin unter die Top Ten - damit kann man doch eigentlich ganz zufrieden sein.
-
Eigentlich ist sie ja Juristin - aber wow, eine, die wirklich wahnsinnig gut singen kann: Demy ist die diesjährige Teilnehmerin aus Griechenland. Die Bühne teilt sie sich mit zwei adonishaften Tänzern, die mit den Füßen ein wenig im Wasser planschen dürfen. Am Ende wird es Platz 19 für die Griechin.
-
Hawaiihemd geht immer, das galt schon beim Fernseh-Detektiv Magnum - und der Spanier Manel Navarro scheint das ähnlich zu sehen. Gemeinsam mit seinen Musikern tritt er im Beachboy-Outfit auf. Gesanglich leider kein sehr überzeugender Auftritt - der dann am Ende auch mit nur fünf Punkten und dem letzten Platz abgestraft wird.
-
Der Hut steht ihm gut? Na, über Geschmack soll man ja nicht lautstark streiten. Aleksander Wallmann und der vermummte Jowst aus Norwegen präsentieren poppige Klänge, die nicht wehtun - aber auch nicht so recht hängen bleiben.
-
Sie steht sehr regelmäßig als Musical-Sängerin auf der Bühne - wen wundert es da, dass Lucie Jones dort eine gewaltige Präsenz besitzt und astrein singen kann? Richtig, niemanden. Mit dieser Sängerin schafft es Großbritannien dann auch endlich mal wieder etwas weiter nach oben in der Rangliste - auch wenn Platz 15 vielleicht nicht grandios ist. Aber, we "Never Give Up On You", Britain.
-
Hovig Demirjian aus Zypern kämpft - das sagt schon sein Song "Gravity" - mit der Erdanziehungskraft, liegt während seines Auftrittes sogar einmal auf der Bühne. Kein Auftritt, an dem es viel zu mäkeln gäbe - aber auch keiner, an den man sich am Ende noch so richtig gut erinnern kann.
-
Ilinca feat. Alex Florea aus Rumänien hingegen bleiben mit ihrem schrillen und energiegeladenen Auftritt im Gedächtnis. Die 18-jährige Ilinca hat offenbar ein Jodeldiplom absolviert, dazu sieht sie unglaublich hinreißend aus. Der Song könnte jedenfalls der Hit auf der Ski-Hütte werden. Wer hätte gedacht, dass jodeln so schön sein kann?
-
Startnummer 21: Levina für Deutschland. Ihr Bühnenoutfit sieht etwas biederer aus als das, mit dem sie zu Showbeginn einmarschiert ist. Aber die Sängerin legt einen strahlenden Auftritt hin.
-
Gesang, Performance - "That's What You Call A Perfect ... Show". Nur mit der Platzierung klappt es auch in diesem Jahr wieder nicht so recht: Levina landet nur auf dem vorletzten Platz.
-
Heimspiel für den rockigsten aller Acts an diesem Abend: Die Rocker-Boygroup O. Torvald aus der Ukraine ist an der Reihe.
-
Und wie es sich so gehört für echte Rocker, wurde da einiges gemacht - so im Bereich Tattoo und Piercing. Gesanglich wird da schon mal ein wenig schräg gejault, aber hey, man kann nicht alles haben.
-
Und noch so ein unaufgeregter Auftritt: Die Belgierin Blanche macht nicht allzu viel Tamtam auf der Bühne. Stattdessen konzentriert sie sich auf den Gesang - der durch ihre ungewöhnlich dunkle Stimme beeindruckend klingt. So bringt die 17-Jährige nicht nur den Saal in Kiew mit ihrem Lied "Citylights" zum Kochen, sondern wird am Ende des Abends auch vierte in der Gesamtwertung - vollkommen verdient.
-
Die grauen Männer kommen: Der Schwede Robin Bengtsson und seine vier Tänzer legen einen durchgestylten und nahezu perfekten Auftritt hin, dazu sehen die fünf wahnsinnig gut aus. Nur etwas steif wirkt das Ganze dann vielleicht doch.
-
Das Küken des Abends: Gerade erst ist er 17 Jahre alt geworden, der Bulgare Kristian Kostov. Das kann man kaum glauben, bei dem selbstbewussten Auftritt. Ungewöhnlich ist die Frisur, da könnten Vögel drin nisten ... wenn sie wollten.
-
Wie machen diese Französinnen das nur immer, dass sie so bezaubernd und hübsch aussehen? Alma jedenfalls weiß es definitiv. Mit ihrem "Requiem", das - anders, als der Titel vermuten lässt - sehr schwungvoll und positiv klingt - kann sie das Publikum begeistern. Als dann später auch noch die französische Hauptstadt auf die LED-Wände projiziert wird, muss man neidlos zugeben: Das ist fett!
Nicht gerade eine Bereicherung für die Tanzfläche ist Sängerin Blanche. Wie festgeklebt bleibt die Belgierin während ihres Auftritts auf der Bühne stehen und macht nur ein paar sehr einstudiert wirkende Armbewegungen. Sie wirkt zwar etwas nervös, aber ihr Song "City Lights" ist unaufgeregt, reduziert und bleibt hängen. Die Vorzeige-ESC-Nation Schweden schickt den attraktiven Robin Bengtsson nicht nur auf die Bühne, sondern verordnet ihm direkt ein Training: Mit seinen Tänzern führt der schwedische Jacques Gelee seine Choreografie auf Laufbändern vor. Dabei macht er zwar eine gute Figur, kann aber seiner Heimat nicht zu einem weiteren Siegtitel verhelfen.
Gejodelt wird nicht nur im Alpenraum

Rumänien jodelt und rappt sich auf den siebten Platz.
Wer glaubt, beim ESC bereits alles gesehen zu haben, was sich irgendwie musikalisch auf die Bühne bringen lässt, wird bei der 62. Ausgabe des Wettbewerbs eines Besseren belehrt. Getreu dem diesjährigen Motto "Celebrate Diversity" überrascht Rumänien mit einer jodelnden Sängerin, und als wäre das nicht außergewöhnlich genug, rappt ihr Partner dazu. Ilinca und Alex Floreas Auftritt mit "Yodel It!" ist der mutigste Beitrag des Abends. Nicht nur gesanglich, sondern auch optisch bemüht, keine Langeweile aufkommen zu lassen, zünden die beiden Konfettikanonen auf der Bühne. Wegen Schulden bei der European Broadcasting Union durfte das Land 2016 nicht starten, 2017 sind die Rumänen die größten Stimmungskanonen des Abends. Überraschendes trägt auch der Kroate vor. Zwei Stimmen wohnen in Jacques Houdeks Brust: Der Kandidat wechselt bei seinem Vortrag immer wieder zwischen Pop- und Opernstimme und ist so gewissermaßen sein eigener Duettpartner. Platz 13 für dieses fast schon schizophrene Erlebnis.
Am Ende der Show, bei der auch die ehemaligen ukrainischen ESC-Siegerinnen Jamala und Ruslana auftreten sowie die singende Discokugel Verka Serduchka - Teilnehmerin von 2007 - zu Gast ist, ergreift der Gewinner Salvador Sobral noch einmal das Wort. Er äußert sich zu seinem Sieg. "Das könnte ein Sieg der Musik sein", sagt er. Musik sei nicht einfach nur Feuerwerk, Musik sei Gefühl. Und dass es nicht laut und bunt sein muss, dafür tritt er selbst an diesem Abend den Beweis an.
Weitere Informationen

Weitere Informationen
Mehr News
- ESC 2021: Ex-Teilnehmer in internationalen Vorentscheiden
- ESC 2021: Viele Länder schicken Kandidaten von 2020
- Alle Infos zum ESC 2021 in den Niederlanden
- ESC 2021: Nordmazedonien setzt weiter auf Vasil
- ESC 2021 in Rotterdam: Wichtige Fragen und Antworten
- ESC 2021: YouTube-Star NikkieTutorials is Co-Moderatorin